Sarah 1979

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Köniz
Serviceaushilfe
Apothekenaushilfe
Private Englischlehrerin
Grafikerin
Tierhomöopathin
Konzepterin
Dozentin Fotografie
Fotografin

MAI 1984: Mein Vater versucht, meinen Bruder wieder zu beleben. Meine Mutter schreit. Ich stehe da und vergesse all das gründlich, ausser den weissen Sarg und die sieben Vergissmeinnicht, die ich dem behandelnden Arzt stolz geschenkt habe.

MAI 1987: Meine Mutter ist tot. Ihre Hände sind gefaltet und meine Glocke mit dem grünweissen Band hängt an ihrem Handgelenk. Ich will in die Schule und ein Kleid tragen. Dabei fühle ich mich ganz besonders, das Kleid ist schön moosgrün, die Welt still. Ich fühle mich schuldig.

JULI 1992: Der See ist eiskalt. Ich hebe meinen rechten Arm, um zu kraulen. Licht leuchtet in Wassertropfen auf. Sie fallen herunter in den See und mein Herz expandiert.

DEZEMBER 1993: Das Pferd legt seinen grossen Kopf in meinen Schoss, schliesst die Augen und schläft ein.

FEBRUAR 2009: Mein Sohn liegt zwischen meinen Beinen und ich denke: «Es ist vorbei, es ist endlich vorbei». Er ist ganz sauber und röchelt leise, ich bin verschmiert mit Kindspech und Blut. Mir wird etwas übel, als ich die Plazenta betrachte, und zwischen meinen Beinen wohnt ein stechender Schmerz. Nackte Haut auf nackter Haut, es erinnert mich an mein erstes Mal.

FEBRUAR 2012: Ich liege eine Nacht lang panisch wach und wiederhole meinen Namen, meine Adresse, meinen Lebenslauf. Mein Mann schläft im Nebenzimmer, meinem Sohn habe ich den Stoffeisbären geklaut.

MÄRZ 2012: Mein Sohn sagt mir, dass er sich auf einer Skala von 1 bis 10 mindestens 10 selber liebt. Und fragt grinsend, ob er das darf.

AUGUST 2012: Ich erfahre, dass ich aus toten Sternen bestehe, und diese aus toten Sternen, und diese aus toten Sternen. Ich kann wieder schlafen und tanzen.

MÄRZ 2013: Marcel sagt mir, dass er nur noch da ist, weil er glaubt, dass ich es ohne ihn nicht schaffe. Ich gehe.

OKTOBER 2014: Ich schlafe mit meinem Liebhaber und höre auf, mich zu schützen und zu verstecken, lasse los und breche in heisse Tränen aus. Mein Koffer ist gepackt und der Bus fährt in fünfzehn Minuten.

29.12.2014