Ilse 1930

Allenstein
Neumöhlhorst
Neuenhasslau
Hanau
Frankfurt am Main
Krankenschwester
Beamtin Telekom

JULI 1944: Ich erfahre, dass Hitler hier in Ostpreussen gerade ein schweres Attentat überlebt hat. Ich bin schwer enttäuscht. Meine Mutter verbietet mir, in der Öffentlichkeit schlecht über Hitler zu reden, da sonst meine Eltern beide ins Gefängnis kommen würden.

JANUAR 1945: Ich fliehe mit meiner Mutter und meinen Grosseltern in einem Viehwagen bei minus 20 Grad aus Allenstein. Die Lokomotive wird kaputt geschossen, aber mit einer Rangierlok gelingt die Ausfahrt aus dem Bahnhof ins nächste Dorf, kurz bevor die Russen den Bahnhof besetzen. Mein Vater bleibt zu Hause. Um Mitternacht verlässt auch er die Stadt zu Fuss.

JANUAR 1945: Als wir in Königsberg ankommen, haben die Russen Ostpreussen umzingelt. Ein junger russischer Kriegsgefangener sagt mir eindringlich: «Bleiben Sie nicht hier, gehen Sie fort über’s Wasser.» Am nächsten Abend gehen wir in Pillau auf ein Schiff und landen am Sonntag in Eckernförde. Von dort werden wir auf’s Land verteilt und bei einer Bauernfamilie einquartiert. Mein Grossvater wird unterwegs von uns getrennt. Ich höre nie wieder etwas von ihm.

APRIL 1949: Nachdem ich die Mittelschule in Eckernförde nachgeholt habe, beginne ich eine Lehre als Krankenschwester im Stadtkrankenhaus in Hanau. Mit zwei Mitschülerinnen aus dieser Zeit bin ich heute noch gut befreundet.

JANUAR 1952: Ich erhalte eine Stelle bei der Post und in der Telex-Auslandvermittlung (Telekom).

DEZEMBER 1974: Mein Vater, der sich sehr um meine erblindete Mutter gekümmert hatte, stirbt an einem Herzinfarkt.

DEZEMBER 1985: Meine Mutter stirbt nach langer Schwäche im Katharinen-Krankenhaus in Frankfurt. Ich bin sehr einsam. Ich lerne eine jüngere Afghanin kennen, die sich um mich kümmert. Leider zieht sie dann zu ihrer Familie nach Kanada.

JUNI 1992: Der Beginn des Ruhestands ist eine grosse Erleichterung für mich. Jetzt habe ich endlich Zeit für Ausflüge in Deutschland. Ich besuche auch meine Afghanin und ihre Familie in Kanada und nehme an drei afghanischen Hochzeiten teil.

AUGUST 2010: Ich erleide einen Schlaganfall. Seither habe ich grosse Mühe mit dem Laufen, aber mit dem Rollator geht es.

JANUAR 2013: Ich gebe meine Wohnung auf und ziehe ins Alterswohnheim. Der Wechsel fällt mir schwer. Ohne die Hilfe meiner serbischen Betreuerin hätte ich es kaum geschafft. Sie betreut mich auch weiterhin.

20.01.2014