Annette 1944

Bonn
Lindi (Tansania)
Bonn
Erzieherin
Geschäftsinhaberin
Öffentlichkeitsarbeit
Dozentin
Journalistin
Stadtführerin

AUGUST 1977: Ich bin mit meinem Mann in einer Reisegruppe auf Weltreise. Auf Tahiti bricht er bei der Ankunft ohnmächtig zusammen. Eine französische Klinik vermutet Kalziummangel. Ich glaube das nicht. Meine Intuition sagt mir, dass mein Mann sterben könnte. Im Hotel werden unsere Pässe gestohlen. In Santiago de Chile, der nächsten Reisestation, muss ich alleine beim Konsulat neue Pässe holen.

FEBRUAR 1978: Mein Mann stirbt an einem Gehirntumor, gerade als unser Sohn in die Schule kommt. Der Schmerz ist unendlich gross. Zurück bleiben zwei Stiefkinder, meine Tochter aus erster Ehe, das gemeinsame Kind und ich.

JULI 1978: Ich besuche mit meinem Sohn und meiner Tochter für drei Wochen Freunde in Tansania, um Deutschland und die Trauer hinter mir zu lassen. Dort spricht mich auf einem Empfang ein Entwicklungshelfer an. Wir freunden uns an. Da stellt sich heraus, dass er der Sohn eines früheren Lebensgefährten meiner Mutter ist.

MÄRZ 1979: Ich gehe mit meinem siebenjährigen Sohn für ein knappes Jahr nach Tansania. Wir leben ohne Strom und nur mit Regenwasser in einem winzigen Ort mitten im Busch. Wie mit der Schuldirektorin in Bonn abgesprochen, unterrichte ich meinen Sohn selbst.

MAI 1980: Auf einem geschäftlichen Besuch in China reise ich drei Tage im Zug von Kanton nach Peking. Dort sehe ich morgens um sechs Uhr tausende Menschen in blauen Mao-Jacken, die Fahrrad fahren oder am Wegesrande mit Tai-Chi beschäftigt sind. Dabei geht riesig gross die Sonne am Horizont auf.

AUGUST 1984: In Nepal mache ich mich auf eine Trekking Tour im Annapurna-Gebiet in Richtung Tibet. Auf Mauleselpfaden laufe ich täglich Stunden, schlafe in Bretterveschlägen mit Plumpsklo ausserhalb. An einem Tag durchwandere ich erschöpft ein Waldgebiet. Plötzlich höre ich lauter Töne von Flöten und Pfeifen. Eine Gruppe buntgekleideter Menschen hüpft und läuft mit strahlenden lachenden Gesichtern an mir vorbei. Es sind Tibeter auf Wanderung. Ich bleibe staunend von dem schönen Bild stehen und spüre meine Erschöpfung nicht mehr.

SEPTEMBER 1985: Ich kaufe einen wunderschönen Altbau, um eine Hausgemeinschaft mit Freunden zu gründen. Der Turm des Hauses braucht ein neues Dach. Da es unter Denkmalschutz steht, muss es ein Schieferdach sein. Wegen des Hauskaufs fehlt mir das Geld. Da fällt mir ein, dass ich ein wertvolles kleines expressionistisches Originalgemälde besitze. Ich packe das Bild in ein orangenes Frotteehandtuch und nehme es an die ART COLOGNE mit. Dort werde ich mit Tasche hereingelassen und gehe zu einer renommierten Galerie, der ich das Bild zeige. Ich verabrede, zwei Tage später wiederzukommen, und recherchiere im Museum den Preis. Zwei Tage später bringe ich das Bild wieder auf die ART und verlasse die Messe mit der Tasche voller Geldscheine für das Schieferdach.

DEZEMBER 2001: Ich sitze mit meiner kleinen Enkeltochter vor dem Fernsehen, Tagesschau. Sie ist knapp zwei Jahre alt. Plötzlich, als Gerangel im Fernsehen zu sehen ist, wirft sie die Ärmchen hoch und sagt mit verzweifelter Stimme: «Omi, warum sanken die Menschen immer so?» ich antworte: «Aber du zankst doch mit Deinem Bruder auch, das ist eben so. Manchmal zanken sich Menschen eben.» Sie antwortet: «Nein, ich sanke nie, nie – Japer sankt mich!» Ich muss lachen und bin tief berührt, wie das kleine Kind das sieht.

DEZEMBER 2006: Mein Bruder ist todkrank, seine sehr junge Lebensgefährtin ist auch sehr krank. Wir wollen alle nach Wiesbaden zu meiner Mutter fahren, die im Sterben liegt. Ich komme zu spät, erfahre nur noch von der Krankenschwester, dass meine Mutter, die nie in die Kirche ging, am Abend vor ihrem Tod mit ihrer Zimmernachbarin laut das Lied «Grosser Gott, wir loben Dich» gesungen hat. Dieses Lied berührt uns dann alle sehr, als es bei der Trauerfeier gespielt wird. Monate später stirbt die Lebensgefährtin meines Bruders, ein Jahr später mein Bruder.

DEZEMBER 2013: Nach zwei Jahren Kampf um ein Bauprojekt können wir endlich einen neuen Vertrag unterschreiben für den Weiterbau. Einen Tag später erfahren wir, dass bei einer Freundin von uns, die zum Bauprojekt als Bewohnerin dazugehört, vor lauter Kummer mit dem Bau eine schlimme Psychose ausgebrochen ist und sie völlig verwirrt durch die Gegend irrt.

19.01.2014