Madelaine 1937

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Flims
Sekretärin
Übersetzerin
Zoowärterin
Gouvernante
Lehrerin

SEPTEMBER 1942: Mein heiss geliebter und verbündeter Bruder verlässt mich und geht in den Kindergarten. Zum Trost hinterlässt er mir ein Picknick unter einem alten Hut.

SEPTEMBER 1944: Ich beginne die Primarschule. Mein Lehrer kommt mir vor wie der Erzengel Gabriel. Trotzdem verstehe ich die Verbindung zwischen Wort und Bild im ersten Lesebuch nicht und habe beim Kopfrechnen mein erstes Blackout.

JULI 1946: Ich reise mit Mutter und drei Geschwistern durch das kriegsversehrte Frankreich und sehe durchs Zugfenster ein Haus, bei dem zwei Mauern fehlen und die Böden der Stockwerke herunterhängen. Aus einer grossen blauen Hutschachtel tropft es auf uns herunter. Meine Mutter wollte die reifen Pfirsiche vom Garten nicht zurücklassen.

SEPTEMBER 1950: Ich trete in die Mittelschule ein. Auf dem Schulweg wünsche ich jeweils entweder tot oder schwer krank zu sein, damit ich nicht mehr in die Schule muss.

OKTOBER 1950: Meine glückliche Flucht ins ausserschulische Lesen beginnt mit Lisa Tetzners «Erlebnisse und Abenteuer der Kinder aus Nr. 67» in mehreren Bänden.

OKTOBER 1955: Ein Märchenprinz erscheint auf einem Araberhengst und füllt jede Faser meines Körpers und meiner Seele.

NOVEMBER 1966: Mein erster Sohn wird in Amerika geboren. Die Empfangsstelle der Gebärstation kommt mir mit ihrer langen Chromstahl-Theke vor wie eine Metzgerei. Die dicke Schwester trägt einen grünen Overall und eine Duschkappe.

SEPTEMBER 1973: Ich beginne eine akademische Ausbildung. Die Arizona State University sehe ich als das «Gelobte Land».

SEPTEMBER 2001: Ich beginne eine Weiterbildung in Kunst und schwebe einen Meter über dem Boden.

MÄRZ 2003: Ich sehe den Beginn des Irak-Krieges am Fernsehen. Dabei habe ich das Gefühl, gerade Opfer einer Gruppenvergewaltigung geworden zu sein.

10.11.2013