Johanna 1955

Tinizong
Thusis
Lausanne
Renens
Ostermundigen
Bern
Untervaz
Passugg-Araschgen
Kindermädchen
Tellerwäscherin
Kioskverkäuferin
Kaufmännische Angestellte
Arztsekretärin
Spielgruppenleiterin
Regieassistentin
Theater-Produktionsleiterin
Sekretärin

JULI 1967: Ich kann während den Sommerferien bei einer Familie als Kindermädchen ein paar Rappen verdienen. An einem Montagmorgen erfahre ich, dass das dreijährige Mädchen plötzlich sehr krank geworden ist und sofort ins Spital eingeliefert werden muss. Am Freitagabend stirbt sie an einem Hirntumor.

MAI 1974: Ich habe gerade meine Lehre als kaufmännische Angestellte beendet und fahre nach Lausanne. Ich habe eine Stelle gefunden und werde so nebenbei auch französisch lernen. Ich freue mich, endlich soviel Geld zu verdienen, dass ich mir ganz viele Bücher kaufen kann. Und überhaupt machen kann, was mir gefällt.

JUNI 1975: Ich bin mit meiner Freundin unterwegs nach München. Mit InterRail wollen wir bis zum Nordkap reisen, dann runter nach Finnland und dort mit einer Gruppe junger Leute aus ganz Europa bei der Heuernte helfen. Es ist meine erste grosse Reise, ich war noch nie zwei Monate unterwegs.

JULI 1979: Es ist der 21. Juli, ein schöner Sommertag in meinem Heimatdorf. Heute werde ich heiraten. Bekannte und Verwandte haben sich eingefunden und es wird ein fröhliches, lustiges Fest.

AUGUST 1985: Seit gestern hat das Wetter umgeschlagen. Es blitzt und donnert und unsere Tochter wird abends geboren. Ich bin müde, erschöpft und unsagbar glücklich. Nach ein paar Jahren des Hoffens ist sie endlich da und ich spüre, dass ich froh bin, dass es ein Mädchen ist. Ich fühle mich ihr als Frau sofort sehr verbunden.

MAI 1990: Mein Mann hat seit diesem Jahr eine Woche mehr Ferien und diese schenkt er mir. Er wird für eine Woche «Hausfrau» und ich besuche mit einer Freundin einen Aquarell-Malkurs im Tessin. Das Malen fasziniert mich und lässt mich nie mehr los. Mein Mann wird jedes Jahr eine Woche allein mit den Kindern verbringen.

JULI 1996: In unserem Dorf wurden Laienspieler für eine Theaterproduktion gesucht. Ausser bei Schulaufführungen habe ich bis anhin noch nie Theater gespielt. Jetzt bin ich Feuer und Flamme und freue mich auf jede Probe und auf die Premiere.

APRIL 2005: Die Ausbildung zur Kulturmanagerin gibt mir viel Energie und Elan. Ich lerne fleissig mit grösstenteils jungen Leuten, schreibe zum ersten Mal eine Diplomarbeit und schliesse erfolgreich ab.

MAI 2007: Ich steige in St. Petersburg mit meinem Mann in die Transsibirische Eisenbahn Richtung Peking. Wir sind schon seit einem Monat unterwegs und werden erst Mitte Juni wieder zurück sein. Unsere Kinder haben beide das Studium begonnen und wir sind wieder «vogelfrei».

JANUAR 2009: Ich bin auf dem Heimweg von einem Besuch bei meinem Vater im Altersheim. Ein schwer zu erklärendes Gefühl sagt mir, dass der Abschied anders war als an anderen Tagen. Als ich zu Hause ankomme, läutet das Telefon und man teilt mir mit, dass mein Vater gerade verstorben ist. Seinen Satz «Grüss alle von mir» höre ich heute noch.

25.09.2013