Rebekka 1982

Efringen-Kirchen
Eppelheim
Ettenheim
Ispringen
Heitersheim
Zell im Wiesental
Rheinfelden (Baden)
Gundelfingen
Konstanz
Waldkirch
Verkäuferin
Regaleinräumerin
Passanten-Zählerin
Wissenschaftliche Hilfsassistentin
Babysitterin
Interviewerin
Wissenschaftliche Assistentin
Journalistin

FEBRUAR 1990: Mein kleiner Bruder kommt zur Welt. Ich habe im Kreissaal geschlafen und sehe, wie er gebadet wird. Dann darf ich ihn halten.

OKTOBER 1991: Ich schwimme im Hallenbad, die Schwimmlehrerin und meine Eltern stehen am Beckenrand. Sie freuen sich und rufen mir zu. Ich breite beim Schwimmen beide Arme aus – soeben habe ich eine mittelschwere Neurose abgelegt. Fünf Monate lang hatte ich die Arme überkreuzt gehalten, weil ich einen imaginären Schatz darin trug. Jetzt bin ich befreit.

JUNI 1995: Ich stehe am Hühnerstall, es dämmert. Ich höre die Erwachsenen drinnen Geige spielen und denke: Diesen Moment muss ich mir für immer merken.

JUNI 1997: Ich bin vierzehn und krame im Bücherregal meiner Mutter. Ein Buchrücken hat mir schon immer gefallen, er bildet Frauenköpfe in violett und roten Farbtönen ab. Das Buch heisst «Frauen» und ist von Marilyn French – meine erste feministische Lektüre.

SEPTEMBER 2000: Ich habe eine eigene Wohnung und gehe auf eine neue Schule. Ein Mädchengymnasium. Drei Jahre lang lernen wir ernsthaft und vertieft in guter Klassengemeinschaft.

MAI 2004: Ich bin schwanger, will es aber nicht sein. Nicht von diesem Mann, der mich fasziniert, aber in einer anderen Welt lebt. Nicht jetzt, wo ich mein Studium abbrechen will. Abbruch in einer Klinik. Neben mir wacht eine junge Muslima auf, die heimlich abgetrieben hat. Aufgeregt erzählt sie mir alles. Die Nachbarin hat ihr geholfen, mit den Versicherungskosten und so. Hinterher bin ich erleichtert.

OKTOBER 2004: Ich bin vier Monate zu Gast an einem evangelischen College in Indien, im Wohnheim für junge Frauen. Die Fenster sind vergittert, nachts auch der Hauseingang. Die jungen Frauen, die hier leben, dürfen keine Telefone besitzen und laden ihre Akkus heimlich an blanken Kabeln auf. Eine trifft sich heimlich mit ihrem Freund: Er ist Moslem, sie Katholikin. Sie könnte von der Schule fliegen, dabei sind beide Familien schon mit der Hochzeit einverstanden. Ich habe Sondergenehmigung, bis 19 Uhr frei umherzulaufen, fühle mich aber eingesperrt. Nach einem Disput mit der Schulleiterin laufe ich weg.

APRIL 2005: Direkt nach dem Urlaubssemester studiere ich in einer anderen Stadt weiter. Die Mieten sind teuer, ich habe kein Geld. Ich muss zu Fuss zur Uni, bergauf, die Sonne brennt. Die Sommerkleider stehen aber bei meinen Eltern auf dem Speicher. In meiner Hosentasche sind vier Euro. Ich kaufe Reis, Kekse und Hautcreme, um meine trockene Haut zu beruhigen. Reis und Kekse reichen für drei Tage. So prekär habe ich noch nie gelebt.

MAI 2007: Ich fahre mit dem Rad an der blühenden Insel Mainau vorbei zur Vorlesung und sehe eine Mutter mit neunjähriger Tochter von der Fahrradtour rasten. Am Abend werfe ich die Pille in den Müll und werde kurz darauf schwanger.

JULI 2008: Mara kommt um 4.24 Uhr zu Welt, sie schreit nicht, sondern guckt mich nur aus ihren dunklen Knopfaugen an. Dominik sitzt mit einer Alkoholfahne in der Ecke des Kreißsaals. Er kam erst während der Presswehen hinzu, ich wollte ihn weit weg haben. Als ich den Alkohol roch, hörten die Wehen auf, ich wollte nicht mehr, hörte auf zu pressen. Irgendwie hat die Ärztin das Kind aus mir rausgekriegt. Jetzt halte ich Mara in den Armen und bin glücklich.

31.05.2013