Stephan 1964

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Schlossergehilfe für Baumkuchenmaschinen
Schauspieler
Regisseur
Autor
Haussitter
Hundesitter
Sprechstundenhilfe

APRIL 1970: Ich bekomme einen Cockerspaniel-Plüschhund von Steiff. Ich nehme ihn überall hin mit, sogar zum Arzt. Ich halte ihn auf dem Arm. Seinen Kopf verdecke ich mit meiner Jacke, die Augen sehen nicht echt genug aus.

MAI 1976: Ich fliege einen Hubschrauber. Er steht auf dem Hof der Nachbarschule. Einmal im Jahr veranstaltet meine Schule mit der Nachbarschule einen Sportwettkampf. Ich schwänze den Weitsprung und fliege lieber den Hubschrauber.

MAI 1982: Ich ziehe in meine erste eigene Wohnung. Sie kostet 92,20 Mark und liegt im Keller eines Hinterhauses. Nach zwei Tagen lade ich Andreas zu mir ein. Er kommt und sagt, dass er müde sei. Er habe nach Geige auch noch Tennis gehabt. Ich schlage ihm vor, sich hinzulegen und ein bisschen auszuruhen. Bevor er sich hinlegt, zieht er sich aus. Ich lege mich neben ihn. Dann passiert lange nichts. Mein Herz schlägt gegen meine Stimmbänder und ich glaube, dass er das hören kann. Irgendwann drehe ich ihn auf den Bauch, halte seine Oberschenkel fest und mache das, was ich mir einige Tage zuvor an einer Tankstelle aus einem Heft abgeguckt habe. Ich mache es laut, schliesslich ist es meine eigene Wohnung.

AUGUST 1986: Es ist vier Uhr nachmittags. Eine Freundin ruft an und sagt mir, sie habe eben auf der Liste gesehen, dass ich die erste Runde zur Schauspielschule überstanden habe. Ich will sofort zur Schule rennen und die Liste selbst durchlesen. Doch ich habe seit dem Morgen drei Päckchen filterlose Zigaretten geraucht. Ich brauche für eine Strecke, die ich sonst in einer Viertelstunde zurückgelegt hätte, eine halbe und denke mir, es wäre ziemlich blöd, ausgerechnet jetzt zu sterben.

OKTOBER 1988: Mein erster fester Freund lässt sich gut vorzeigen. Er ist höflich und wohlhabend. Ich traue mich endlich, meine Mutter anzurufen und ihr zu sagen, dass ich schwul sei. Sie sagt, dass sie das längst wisse.

JANUAR 1993: Ich gebe an einem Abend Harvey Keitel die Hand, Vanessa Redgrave, Roger Moore, Mutter Beimer, Horst Buchholz, Peter Ustinov, Bono und Kris Kristofferson. Ich habe es geschafft.

AUGUST 2001: Ich bin in der Psychiatrie. Nach drei Tagen werde ich entlassen. Ich habe mich mit neunzehn Litern Mineralwasser selbst geheilt.

AUGUST 2010: Nach jahrelanger Recherche bekomme ich Post eines Einwohnermeldeamtes, meine leibliche Mutter heisse so und so und lebe da und da. Ich schreibe ihr einen Brief. Zwei Tage später ruft sie an und sagt, sie habe mich vermisst.

SEPTEMBER 2010: Ich sehe einige Zuschauer im Zuschauerraum weinen. Auf der Bühne weint niemand. So soll es sein.

OKTOBER 2011: Nach über achtzehn Jahren stirbt meine Katze. Während sie stirbt, liegt sie auf meinem Schoss und schnurrt.

22.05.2013