Melanie 1980

Schwieberdingen
Oberriexingen
Kleinsachsenheim
Stuttgart
Zürich
Erzieherin
Küchenhilfe

AUGUST 1986: Ich kippe mir bei einem Familientreffen eine volle Kanne kochend-heissen Pfefferminztee über die Beine. Am Abend höre ich, wie mein Vater sich im Bad erbricht. Ich kann drei Monate später wieder laufen. Meine Freundin Feli bringt mich dazu. Meine 1. Schulklasse singt mir ein Lied unter dem Balkon.

FEBRUAR 1993: Ich lese in der Fernsehzeitung von dem Film «My private Idaho». Ich bin völlig fasziniert vom Thema «Stricher». Davon habe ich noch nie etwas gehört.

AUGUST 1996: Ich ziehe mit sechzehn Jahren bei der dreissigjährigen Susanne ein. Sie ist alleinerziehend und hat zwei kleine Söhne. Unter vielem anderen lerne ich von ihr, wie man ein WC putzt und dass ich mit Sicherheit noch keinen Orgasmus hatte.

SEPTEMBER 1998: Ich beginne meine Ausbildung an der evangelischen Fachschule für Sozialpädagogik Stuttgart. Ich weiss, dass ich mich am ersten Tag nicht zu den netten, braven Mädchen gesellen darf, sondern meinem Leben eine Wendung geben muss. Ich setze mich neben Katja.

JULI 2000: Ich ziehe nach Stuttgart-Bad Cannstatt. Ich erfahre, dass ein Typ, welchen ich über eine Ecke kenne, nur eine Strasse weiter wohnt. Die nächsten zwei Jahre besaufen wir uns miteinander im Club «Climax».

NOVEMBER 2004: Ich fahre mit meiner jüngeren Nichte Sarah im Zug. Sie erzäht von ihrer Mutter (meiner Schwester), von ihrer älteren Schwester Jana, von Martin, dem Partner ihrer Mutter, dann kommen wir auf Oma und Opa (geschieden) zu sprechen. Ihr Fazit: «Ich glaube, wir sind die einzig Normalen in der Familie.»

MÄRZ 2005: Gespräch mit meiner Chefin im Kinderheim. Sie hat liegen gelassene Seiten im Büro gefunden, in denen ich meine Phantasien, damals hauptsächlich in Mittelerde («Herr der Ringe») angesiedelt, aufgeschrieben habe. Daraufhin wird mein Vertrag nicht mehr verlängert.

MAI 2005: Ich werfe Jana, meine vierzehnjährige Nichte, aus der Wohnung, nachdem sie ein Jahr bei mir gewohnt hatte. Sie geht in ein Übergangsheim für Jugendliche. Wir hatten immer einen besonderen Draht miteinander – das ist jetzt vorbei.

JUNI 2007: Mein Freund nimmt mich mit ins Varieté- Theater. Ich sehe den Mann mit der roten Lockenmähne und den riesigen Wassermannaugen. Wir haben einen einsilbigen Wortwechsel – ich versuche, lustig zu sein, er geht nicht drauf ein. Heute ist er der Vater meines Kindes.

MAI 2011: Ich bekomme ein Kind. Die tausend besonderen Situationen fangen aber eigentlich erst an, nachdem die Urgewalt der Geburt abgeklungen ist und wir langsam einen neuen Menschen kennenlernen.

11.05.2013