2014

JANUAR 2014: Mein Entschluss steht fest: Ich möchte ausziehen. Ich weiss, dass es schwierig wird, aber ich weiss auch, dass ich dem gewachsen bin.

JANUAR 2014: Mein Mann und ich gehen Hand in Hand unter einem strahlend blauen Winterhimmel spazieren. Wir schauen auf unser Leben zurück, das Reden fällt uns schwer. Hinter uns liegen zwölf Operationen im Laufe von 16 Jahren. Wir suchen nach einem neuen Weg. Im letzten Jahr habe ich zwei weitere Halbgeschwister kennengelernt, jetzt fehlt nur noch einer. Ich fühle mich vollständig. Ich bin ganz ich selbst.

JANUAR 2014: Rasmus weckt mich mit den Worten: «Mama, ich lieb' dich!»

JANUAR 2014: Es ist Sonntag der 10. Januar. 17:19. Wir liegen zu dritt in Ypsilons Bett. Unsere Füsse berühren sich. Zum ersten mal. Fordernd, jedoch vorsichtig. Dann fahren wir zu mir.

JANUAR 2014: Ich lerne eine Frau kennen, die mir von ihrer Clownsausbildung erzählt. Den inneren Clown finden, Achtsamkeit, Schauspiel, Tanz, Musik. Oh mein Gott, wie geil ist das denn, das MUSS ich machen!

JANUAR 2014: Mein Bruder zieht nach zweieinhalb Jahren Auslandaufenthalt zurück nach Zürich. Er bringt seine peruanische Frau mit, welche im fünften Monat schwanger ist. Ich freue mich, ich habe ihn vermisst. Mein Sohn wird einen Cousin in seinem Alter haben.

FEBRUAR 2014: Meinem besten Freund wird das Herz gebrochen. Ich weine mit ihm.

FEBRUAR 2014: Ich schaue auf mein Leben zurück und staune über meine Entwicklung. Ich habe gelernt, Ängste abzuschütteln und frei zu sein.

MÄRZ 2014: Ich entscheide mich für den Dance Core Workshop. Es ist die körperlich anstrengendste, die gefühlvollste, die entspannteste, die vollkommenste Woche meines bisherigen Lebens.

MÄRZ 2014: Ich lerne Linda kennen. Sie wird wie eine Schwester für mich.

MÄRZ 2014: In einer Sonntagnacht mit einem guten Freund entschliesse mich, nicht in die Firma der Familie einzusteigen. Es beschäftigt mich, dass meinen Entscheid so grosse Konsequenzen für viele andere Menschen hat. Kurze Zeit später beginne ich eine Weiterbildung an der ZHdK.

MÄRZ 2014: Meine Walliser Grossmutter stirbt, nachdem sie drei Jahre lang ganz langsam wieder ein Kind wurde.

MÄRZ 2014: Björt sagt, es gibt fünf Wege, Liebe zu zeigen. Ich kannte bislang nur den einen, der mir fremd und unangenehm war.

MÄRZ 2014: Meine allerersten Ferien alleine. Ich bin in Mallorca, in einem B&B-Hotel. Ich laufe und laufe und laufe!

MÄRZ 2014: Endlich kann ich mich von meinem Mann lösen und ziehe in eine kleine Wohnung in einen anderen Kanton. Dieses grosse Haus zu verlassen, bereitet mir grossen Schmerz, denn es wurde mit viel Eigenleistung, Kraft und Aufwand unser Lebenswerk.

MÄRZ 2014: Ich lese «Das Bildnis des Dorian Grey». Die Worte Oscar Wildes verändern meine Sicht auf das Leben und die Kunst. Ich gebe mir den Namen «Prinz Wunderhold».

APRIL 2014: Ich beschliesse, dass ich lächeln werde, wenn mir Menschen begegnen.

MAI 2014: Stella hat eine Psychose. Ihre Angst ist schrecklich, der Schmerz unendlich – nun muss auch sie durch die Hölle. Damit ist sie die einzige nahestehende Person, die mich wirklich versteht. Ich liebe sie.

MAI 2014: Beim Philharmoniekonzert sitzen wir in der ersten Reihe direkt vor meinem Geige spielenden Vater. Ich bin ergriffen von der Musik und der Liebe zu ihm.

MAI 2014: Dies hier schreiben. Gleich meiner Schwester schicken. Sie ist mir sehr nah und sehr fern. Ich weiss nicht, ob dies änderbar ist. Ich will es aber versuchen.

MAI 2014: Dankbar und voller Freude feiere ich den sechzigsten Geburtstag mit meinen Freundinnen und Freunden. Sie stehen mir auch in weniger guten Zeiten zur Seite und bereichern in vielerlei Hinsicht mein Leben.

MAI 2014: Ich lerne Miriam kennen. Sie ist schwer krank. Mit ihr über Leben und Tod zu sprechen, hilft mir auch selbst, meine eigenen Erlebnisse einzuordnen.

JULI 2014: Die Diagnose «Brustkrebs» erschüttert mein bisheriges Leben und meine Zukunftspläne. Thomas hilft mir, die Zuversicht nicht zu verlieren.

AUGUST 2014: Nach einem Mondschein-Bad mit Clem erlebe ich am Schweizer Nationaltag meinen ersten Kuss.

AUGUST 2014: Mascha und ich wollen uns wiedersehen, aber ich finde heraus, dass sie in einer Beziehung ist.

AUGUST 2014: Ich verlasse die komfortable elterliche Bleibe im Erzgebirge und ziehe nach Weimar. Ich stelle fest: Man hat mir in der Schule wenig, das von Lebenswert wäre, auf den Weg gegeben. Und Weimar ist mehr Provinz, als ich dachte.

AUGUST 2014: Wir liegen auf der Terrasse, können die Sterne sehen und singen laut zu «Donna Donna».

AUGUST 2014: Ich drehe mich um und sehe zirka 200 Menschen der untergehenden Sonne applaudieren.

AUGUST 2014: Neukölln: Fünf Tage nach der Entscheidung, zwei Tage nach der Besichtigung steht nun fest, dass er und ich ein gemeinsames Zuhause haben werden.

SEPTEMBER 2014: Ich beschliesse, mehr Pippi zu sein und weniger Annika und mein eigenes Leben zu leben.

SEPTEMBER 2014: Ich weiss, was ich mir auf meinen nächsten Geburtstag wünsche: Ich möchte mir ein Tattoo steche lassen. Ein Auge, das auf mich aufpasst.

SEPTEMBER 2014: Ich lerne Sara und Laila kennen. Seelenverwandtschaft gibt es doch. Und ich treffe eine wundervolle Therapeutin und kann endlich Hilfe annehmen.

OKTOBER 2014: Ich schlafe mit meinem Liebhaber und höre auf, mich zu schützen und zu verstecken, lasse los und breche in heisse Tränen aus. Mein Koffer ist gepackt und der Bus fährt in fünfzehn Minuten.

OKTOBER 2014: In einer Kopenhagener Buchhandlung hilft mir ein wildfremder Mann, nach Titeln von Virginia Woolf zu suchen.

DEZEMBER 2014: Chris kündigt überraschend seinen Job und geht nicht nach Australien.

DEZEMBER 2014: Chrigus Gesicht ist schon sehr gezeichnet, aber sein Lächeln ist zauberhaft, als wir in seinem Spitalzimmer nochmals zusammen ein Bier trinken und er beim Zuprosten sagt: «Auf das Leben!»

DEZEMBER 2014: Schlaflos. Seit Jahren. Ich höre den Podcast vom Radio-Interview über Zehn Wichtigste Ereignisse Meines Lebens während einer ganzen Nacht hin und zurück, hin und zurück. Der Wunsch, zehn Punkte zu definieren. Zufriedenheit, Aufbruch, Neugierde – Punkt!

DEZEMBER 2014: Es ist stockdunkel. Nur die Kerzen neben der dritten Jesusfigur, an der ich auf meinem Spaziergang vorbeigehe, leuchten. Hier spreche ich es zum ersten Mal laut aus: «Ich weiss nicht, wie es weitergehen soll.»

DEZEMBER 2014: Ich erlebe zum ersten Mal, was Liebe und Zweisamkeit bedeutet. Die Liebe hält nicht lang, aber ich lerne viel über mich und das Leben.

DEZEMBER 2014: Gestern haben wir unsere Beziehung nach genau zwölf Jahren beendet. Heute feiere ich mit guten Freunden und den Kindern Weihnachten in einer Hütte in den Bergen. So ist das Leben: dicht, verletzlich, existentiell berührend.

DEZEMBER 2014: Diogo schenkt mir eine Flasche Wein und sagt, ich solle sie mit ihr trinken, sobald sie wieder gesund ist.

DEZEMBER 2014: Meine Mutter wacht nach einer achtstündigen Operation und einer Woche Koma und mit zwei Hirnschlägen wieder auf. Sie ist geistig vollkommen gesund, muss aber noch sechs Wochen auf der Intensivstation verbringen und drei Monate im Krankenhaus. Ich bin unendlich dankbar. Und möchte Ärztin werden.