1982

JANUAR 1982: Geburt unseres ersten Kindes. Die Hebamme gibt es mir in den Arm, ich darf es baden. Es ist ein sooo grosser Moment des Glücks.

FEBRUAR 1982: Mein Vater sagt, ich solle die Gitarre trotz Linkshändigkeit wie ein Rechtshänder spielen, um später «mehr Möglichkeiten» zu haben. Dummerweise finde ich die Argumentation logisch und drehe die Gitarre wieder in die Normalposition zurück.

FEBRUAR 1982: Zum ersten Mal darf ich Gesangsunterricht bei einer Opernsängerin in Zürich nehmen. Darauf habe ich mich lange schon gefreut.

MÄRZ 1982: Wir stapfen mit unseren drei Kindern durch den Schnee erstmals zu unserem Ferienhaus hinauf.

MÄRZ 1982: Geburt meiner Tochter. Sie ist sehr winzig und ich bin glücklich.

MÄRZ 1982: Ich liege in meinem Bett. Es ist mitten in der Nacht. Ich sehe ganz deutlich über mir: Bernadette von Lourdes. Ganz in weiss. Ich schaue sie an. Ich will keine Erscheinung haben. Ich sage zu ihr, sie solle wieder gehen, denn ich sei nicht dazu bestimmt, Erscheinungen zu haben. Sie geht und kommt nie wieder.

MÄRZ 1982: Unter der Leitung unserer Kindergärtnerin improvisieren wir «Die sieben Schwäne». Am Tag danach inszeniere ich auf eigene Faust «Der Wolf und die sieben Geisslein».

APRIL 1982: Ich wage es, einen Wunschtraum in die Realität umzusetzen und melde mich zur Aufnahmeprüfung an die Schauspielschule Zürich an. Mit Erfolg.

APRIL 1982: Wir verwirklichen unseren Traum und kaufen ein altes Bauernhaus. Ich liebe sein Geruch nach altem Holz, den grossen Garten, den alten Birnbaum.

MAI 1982: Ich ziehe in meine erste eigene Wohnung. Sie kostet 92,20 Mark und liegt im Keller eines Hinterhauses. Nach zwei Tagen lade ich Andreas zu mir ein. Er kommt und sagt, dass er müde sei. Er habe nach Geige auch noch Tennis gehabt. Ich schlage ihm vor, sich hinzulegen und ein bisschen auszuruhen. Bevor er sich hinlegt, zieht er sich aus. Ich lege mich neben ihn. Dann passiert lange nichts. Mein Herz schlägt gegen meine Stimmbänder und ich glaube, dass er das hören kann. Irgendwann drehe ich ihn auf den Bauch, halte seine Oberschenkel fest und mache das, was ich mir einige Tage zuvor an einer Tankstelle aus einem Heft abgeguckt habe. Ich mache es laut, schliesslich ist es meine eigene Wohnung.

MAI 1982: Ich 
finde
 beim Auszug mein 
liebstes
 Playmobil‐Figürchen
 wieder
.

MAI 1982: Ich treffe eine holländische Musikgruppe in Basel. Beim Kaffee in einer Bar erkenne ich, dass ich mit meinen Interessen doch nicht so allein bin wie bisher angenommen: es gibt noch andere, die diese Dinge ähnlich wahrnehmen.

MAI 1982: Neben meiner beruflichen Tätigkeit beginne ich mit Zeichnen und Malen, und später auch eine Tanzausbildung. Ich entdecke eine neue Welt, doch spannende berufliche Projekte drängen die künstlerische Tätigkeit immer wieder in den Hintergrund.

JUNI 1982: Ich schenke unserer Tochter im Spital von Morges das Leben und bin froh, dass die Hebamme Deutsch spricht!

JULI 1982: Ich schiesse und verwandle beim Pfingstturnier meinen ersten Elfmeter. Zur Belohnung drückt mir mein Trainer drei Getränkemarken in die Hand. Ich kaufe Fanta und weine überfordert und glücklich im Arm meiner Mutter.

JULI 1982: Rosa hüpft im Auto freudig auf. Kurz vor ihrem zehnten Geburtstag kann sie dieses Wochenende bei mir zu Hause verbringen.

JULI 1982: Unsere Tochter wird in Morges geboren. Sie ist eine grosse Bereicherung und Freude unseres Lebens.

JULI 1982: Meine Frau und ich sind im Kibbutz in Israel. Ich fahre Traktor, sie ist mit unserer ersten Tochter schwanger.

JULI 1982: Es ist beschlossen, dass ich in ein Internat – die Odenwaldschule – gehe. Ich bin die jüngste von fünf Kindern und als einzige noch minderjährig. Mein Vater lebt allein. Ich möchte bei ihm bleiben. Ich schreie, weine, heule, flehe, bettle, falle zu Boden, halte mich an seinen Stoffhosen in Kniehöhe fest, will ihn halten. Er sagt «ich kann das nicht». In diesem Moment weiss ich, dass ich keine Chance habe. Ich bin allein.

JULI 1982: Ich bin zum ersten Mal verliebt. Ich bin völlig «erstaunt» über dieses Gefühl in mir. Ende des Jahres ist es vorbei.

AUGUST 1982: Mein Bruder Michael erstickt fast an einer Fischgräte in der Wüste Mexikos. Ich beschliesse, dass ich nie mehr Fisch esse.

SEPTEMBER 1982: Nach langem Hin und Her: Theaterberuf JA!

SEPTEMBER 1982: Wir Autonomen sind in der Reitschule Bern von der Polizei eingekesselt. Ich schneide mir die langen Haare ab.

OKTOBER 1982: Steinbildhauen im Keller. Bewusstseinsveränderte Zustände durch Nahrungsentzug. «Oktoberrevolution» nenne ich diese Erfahrung und den Film, den ich darüber drehe. Soundtrack: «Meddle», Pink Floyd.

NOVEMBER 1982: Die Entführung von Juan Calel, meinem Counterpart im Projekt XELAC, und der Bürgerkrieg im Hochland von Guatemala führen dazu, dass ich auf Anweisung meines Arbeitgebers in die Schweiz zurückkehren muss.