1963

JANUAR 1963: Wir ziehen nach Nidau in ein kleines Haus. Mein zweiter Sohn kommt auf die Welt. Während ich im Spital bin, kommt meine immer hilfsbereite Mutter und kümmert sich um meine «Männer».

MÄRZ 1963: Im Projektionsraum des Primarschulhauses schauen am Schulexaman der 6. Klasse meine Eltern und die meiner Schulkameraden mein erstes öffentlich aufgeführtes Puppenspiel an: «Bruder Lustig».

MÄRZ 1963: Ich suche das Vorlesungszimmer, in dem Professor Moor seine heilpädagogische Vorlesung hält.

APRIL 1963: Ich komme nachts um 10 Uhr nach Hause. Vor dem Haus steht ein Krankenwagen. Ich gehe in die Wohnung, zwei Sanitäter tragen den schlaffen Körper meines Grossvaters in ein anderes Zimmer aufs Sofa. Mit einem Stück Verbandstoff fixieren sie seinen Kiefer. Sie falten seine Hände über dem Bauch. Die Haut meines Grossvaters ist gelb, nur seine Lippen sind bläulich. Auf dem Stubentisch liegen seine Uhr, seine Brille und seine Fingerringe.

APRIL 1963: In Vorfreude darauf, meinen Vater wiederzusehen, kehre ich von meinem einjährigen Frankreichaufenthalt zurück. Aber Papi ist krank. Obwohl es keine Krankheit zum Tode ist, spürt er, dass er sterben wird. Ich will es nicht wahr haben. Am Wochenende gehe ich zu Freunden. Plötzlich habe ich das Gefühl, nach Hause zu müssen. Als ich in sein Zimmer komme, stirbt er. Ich weiss sofort, dass er tot ist. Es ist niemand sonst in der Wohnung, alle sind unten in unserem Restaurant. Ich bleibe noch lange allein bei meinem Vater sitzen.

JUNI 1963: Ich werde Oma! Ich bin so stolz, und mit 39 doch noch so jung!

JULI 1963: Ich trage ein Lied vor für ein 40-köpfiges Publikum.

OKTOBER 1963: Ich lerne an der Columbia Law School in New York die grosse Liebe meines Lebens kennen: Eine Malerin, Tochter eines orthodoxen jüdischen Rabbiners. Die Beziehung scheitert, als ich nach Deutschland zurückkehre, weil sie nicht bereit ist, deutschen Boden zu betreten.