1961

JANUAR 1961: Meine erste Tochter Antje wird in Reinbek (Hamburg) geboren. Ein Sonntagskind. Ich bin glücklich.

MÄRZ 1961: Geburt meines ersten Sohnes. Ich halte mich nicht an die Vorschrift, das Baby in seinem Zimmer in Ruhe zu lassen. Nein, wo immer ich mich befinde, ist er im Körbchen neben mir. Er hat immer Hunger!

APRIL 1961: Die erste Arbeit als frischgebackener Lehrer: eine Gruppe von verhaltensschwierigen Knaben beim Ernten von Runkelrüben auf dem Feld anzuleiten und zu überwachen.

APRIL 1961: Ich absolviere eine dreijährige Ausbildung zur pharmazeutisch-technischen Assistentin. Es ist nicht mein Traumberuf. Im letzten Ausbildungsjahr lerne ich meinen zukünftigen Mann kennen, der ebenfalls nicht mein Traummann wird.

APRIL 1961: Schuleintritt in Baden. Grosse Vorfreude. Es regnet in Strömen, meine Mutter begleitet mich, und meine Gotte erwartet mich unter der grossen Kastanie mit einer Schokolade in der Hand, auf der ein Fünf-Franken-Stück aufgeklebt ist.

APRIL 1961: Im Rahmen eines Schulaustausches komme ich nach Edinburgh. Bei der Begrüssung in der Schule sage ich «It's nice in England». Da schaut mich der Rektor sehr streng an, tippt mich an die Schulter und sagt mit allem Nachdruck «Never forget: You're in Scotland, not in England».

MAI 1961: Ein Haflinger wird vom Bauern der Strasse entlang heimgeführt. Ich beobachte und begleite das Pferd auf dem Trottoir, als es plötzlich seitlich ausschlägt und mich mitten im Gesicht trifft. Ich lande mit einer Hirnerschütterung im Spital. Drei Fleischwunden müssen genäht werden, und ein beschädigter Zahn wird mich in den folgenden Jahrzehnten immer an den Unfall erinnern.

MAI 1961: Im Spital bekomme ich überraschend Besuch von der Gotte und vom Götti. Seltsamerweise tragen beide schwarze Kleidung. Sie sind geschickt worden, um mir die Nachricht zu überbringen, dass mein Bruder Régis in der Seebadi ertrunken ist. In meinem Kopf herrscht Sturm. Marternde Fragen. Woher nimmt Régis seine Überzeugung, schwimmen zu können? Wie fühlt sich der Klassenkamerad, der mit ihm im viel zu kalten und stürmischen Wasser gewesen ist?

AUGUST 1961: Ich sehe mit fünf Jahren in Holland zum ersten Mal das Meer.

AUGUST 1961: Mein Onkel zeigt mir die Wallfahrtskapelle von Le Corbusier in Ronchamps.

DEZEMBER 1961: Ich bestehe in Freiburg in Breisgau das erste juristische Staatsexamen als Bester von 102 Teilnehmern und halte mich für sehr klug.

DEZEMBER 1961: Mit Mutter und Halbbruder besuche ich meinen Vater im Spital. In der Nacht darauf stirbt er unerwartet.