1954

JANUAR 1954: Ich werde in Basel geboren und von meiner Mutter zur Adoption freigegeben.

MÄRZ 1954: Ich weiss bis heute nicht, warum unser Vater dieses grosse Mehrfamilienhaus an die im gleichen Haus wohnende Witwe verkauft hat. Sie kündigt uns bald darauf die Wohnung. Unsere neunköpfige Familie zieht in eine grosse Mietwohnung am Arbeitsort meines Vaters.

APRIL 1954: Ich werde von meinen Adoptiveltern in die Arme genommen, wir lernen uns kennen. Der Weg in eine unbeschwerte Kindheit beginnt.

APRIL 1954: Als jüngstes von sieben Geschwistern und immer etwas kränklich, wachse ich fast wie ein Einzelkind auf, glücklich in dem grossen Haus mit Garten und vielen Tieren. Dann komme ich in den Kindergarten. Ich verstehe nicht, wieso ich auf Kommando das spielen sollte, was Tante Hösli, die Kindergärtnerin anordnet.

JUNI 1954: Flucht mit Grosseltern und Tante von Dresden über Berlin nach Lübeck. Da ich in Lübeck geboren bin, bin ich aber KEIN Flüchtling. Meine Eltern lassen sich scheiden.

JUNI 1954: In Riva San Vitale spiele ich zum ersten Mal Theater. Ich bin umgeben von Dichtern, Schauspielern und bildenden Künstlern, die aus Nazideutschland geflüchtet waren.

SEPTEMBER 1954: Ich darf aufgrund eines Weltkirchenratsstipendiums ein Jahr an dem exzellenten New York Union College studieren. Ich lerne die USA lieben.

DEZEMBER 1954: Ich liege vor dem Einschlafen im Bett und spiele mit meinem Stofftier. Zu diesem gehört ein Schlüsselchen, mit dem sich das Tier aufziehen lässt. Das Schlüsselchen wandert in den Mund und rutscht in den Hals. Draussen auf dem Gang hört mein Vater zufällig mein Röcheln. Er stürzt in mein Zimmer, packt mich geistesgegenwärtig an den Füssen, hebt mich in die Höhe und schüttelt und klopft das Schlüsselchen heraus.